Die Inselbewohner

Es war einmal eine ideale Gemeinschaft, die in einem fernen Land lebte. Ihren Mitgliedern waren die Ängste, mit denen wir leben, fremd. Statt Unsicherheit und Wankelmut besaßen sie Zielbewußtsein und reichere Möglichkeiten, sich selbst auszudrücken. Obwohl es dort keine Belastungen und Spannungen gab, die die Menschheit heute als für ihren Fortschritt unerläßlich betrachtet, war das Leben dieser Menschen reicher, da andere, bessere Elemente an die Stelle dieser Faktoren traten. So lebten sie also in einer etwas anderen Existenzform als wir. Man könnte fast sagen, daß unsere gegenwärtigen Erfahrungen nur grobe, unbeholfene Versionen jener wirklichen Erfahrung sind, der die Menschen jener Gemeinschaft fähig waren.

Sie besaßen wahres Leben, kein Halb-und-halb Leben. Man nannte sie das Ar-Hew-Volk.

Sie hatten einen weißen Führer, der ihnen in schwierigen Lagen den rechten Weg aufzeigte. Eines Tages sah dieser Mann vorher, daß ihr Land durch schwere Veränderungen für 20.000 Jahre unbewohnbar werden würde. Er plante ihr entkommen, wohl wissend, daß ihre Nachfahren erst nach zahlreichen Prüfungen glücklich in die Heimat würden zurückkehren können.

Er fand einen Zufluchtsort für sein Volk; eine Insel, deren natürliche Gegebenheiten nur entfernt jenen ihres Heimatlandes glichen. Wegen der unterschiedlichen klimatischen und sonstigen Umweltbedingungen mußten die Einwanderer eine Umwandlung durchmachen. Diese Umwandlung paßte sie körperlich und geistig den neuen Umständen an; ein grobes Wahrnehmungsvermögen zum Beispiel trat an die Stelle des feinen, das sie besessen hatten, so wie die Hand des Schwerarbeiters, entsprechend der Beanspruchung in seinem Beruf, schwielig wird.

Um den Schmerz eines Vergleiches des neuen Zustandes mit dem alten zu lindern, ließ man sie die Vergangenheit beinahe völlig vergessen. Nur ganz schattenhafte Erinnerungen blieben, genug jedoch, um zur rechten Zeit wieder erweckt werden zu können.

Das System war sehr kompliziert, aber geschickt aufgebaut. Die Organe, durch die das Volk auf dieser Insel überlebte, machte man auch zu Organen des physischen und geistigen Vergnügens. Die Organe, die in ihrem alten Heimatland wirklich konstruktiv gewesen waren, wurden auf besondere Weise außer Kraft gesetzt und derart mit den schattenhaften Erinnerungen verknüpft, daß ihre Aktivierung gegebenenfalls möglich war.

Langsam und unter Schmerzen wurden die Einwanderer heimisch und stellten sich auf die gegebenen Bedingungen ein. Zu den natürlichen Gegebenheiten der Insel gehörte die Möglichkeit, unter Anstrengungen und einer besonderen Form der Anleitung auf dem Weg in die ursprüngliche Heimat zunächst auf eine andere Insel übersetzen zu können. Diese war die erste einer ganzen Reihe von Inseln, auf der die schrittweise Akklimatisierung stattfinden sollte.

Die Verantwortung für diese "Evolution" wurde solchen Individuen anvertraut, die ihre Last auch tragen konnten. Es konnten nur wenige sein, denn für die Masse des Volkes war die Anstrengung, beide Wissensbereiche in ihrem Bewußtsein zu behalten, geradezu unzumutbar. Schien doch der eine dieser Bereiche dem anderen zu wiedersprechen. So bewahrten einige Spezialisten die "besondere Wissenschaft".

Dieses Geheimnis, die Methode, den Übergang zu finden, war nicht mehr und nicht weniger als das Wissen um die Kunst der Seefahrt und ihre Anwendung. Zur Flucht von der Insel waren kompetente Anleitung, sowie Rohmaterialien, Arbeitskraft, Anstrengungen und Einsicht nötig. Dies alles vorausgesetzt, konnten Menschen lernen, zu schwimmen und auch Schiffe zu bauen. Die Leute, die anfangs für die Rettungsaktion verantwortlich waren, machten es jedermann deutlich, daß es gewisser Vorbereitungen bedurfte, ehe man schwimmen lernen, oder gar am Bau eines Schiffes teilnehmen konnte. Eine Zeitlang funktionierte dieses Verfahren auch zufriedenstellend.

Dann jedoch lehnte sich ein Mann, dem man gesagt hatte, daß ihm - wenigstens zu diesem Zeitpunkt - die nötigen Voraussetzungen noch fehlten, gegen diese Ordnung auf und entwickelte eine meisterliche Vorstellung. Er hatte nämlich beobachtet, daß die Anstrengungen, die man zum Entkommen traf, dem Volk eine schwere und oft anscheinend unwillkommene Bürde aufluden. Gleichzeitig war es geneigt, Gerüchten Glauben zu schenken, die über die Rettungsaktion verbreitet wurden. Er erkannte, daß er mächtig werden und sich zudem an jenen Leuten rächen konnte, die ihn - wie er glaubte - unterbewertet hatten, indem er einfach diese beiden Tatbestände ausnutzte.

Er brauchte sich nur zu erbieten, das Volk von dieser Bürde zu befreien, indem er ihm versicherte, daß es überhaupt keine Bürde gebe. So verkündete er folgendes:

"Es gibt keinen Grund, warum ein Mensch sein Bewußtsein integrieren und auf die vorgeschriebenen Art und Weise schulen sollte. Das menschliche Bewußtsein ist schon jetzt ein stabiles, beständiges und in sich stimmiges Ding. Man hat Euch gesagt, Ihr müßtet Handwerker werden, um ein Schiff bauen zu können. Ich aber sage Euch, ihr braucht nicht nur keine Handwerker zu werden - ihr braucht überhaupt kein Schiff! Ein Inselbewohner braucht sich nur an ein paar einfache Regeln zu halten, um zu überleben und einen Platz in der Gesellschaft zu haben. Mit ein bißchen gesundem Menschenverstand, der ja jedermann angeboren ist, kann er alles auf dieser Insel erreichen, die unsere Heimat ist, unser aller gemeinsames Eigentum und Erbe!"

Nachdem der Redegewandte bei den Leuten großes Interesse hervorgerufen hatte, bewies er nun seine Botschaft:

"Wenn an diesem Gerede über Schiffe und Schwimmen irgend etwas dran ist, dann zeigt uns doch Schiffe, die die Reise gemacht haben, zeigt uns Schwimmer, die zurückgekommen sind!"

Das war eine Herausforderung, der die Instrukteure nicht begegnen konnten. Ging sie doch von einer irrtümlichen Annahme aus, deren Irrigkeit die eingelullten Massen nun nicht mehr durchschauten. Denn, seht ihr, die Schiffe kehrten niemals aus dem anderen Land zurück. Und Schwimmer hatten, wenn sie zurückkamen, eine erneute Anpassung hinter sich, die sie für die Masse nicht mehr erkennbar machte.

Das aufgewiegelte Volk bestand auf einem unleugbaren Beweis. "Schiffbau", so sagten die Fluchthelfer in einem vergeblichen Versuch, mit den Revoltierenden zu diskutieren, "ist eine Kunst und ein Handwerk. Das Erlernen und Ausüben dieser Überlieferung bedarf besonderer Techniken. Diese ergeben zusammen eine Gesamtaktivität, die sich nicht in kleinen Stückchen untersuchen läßt, wie ihr das verlangt. In dieser Aktivität gibt es ein unfaßbares Element, baraka genannt, von dem sich das Wort 'Barke' - also Schiff - herleitet. Dieses Wort heißt 'Das Feine', und das kann euch nicht vorgeführt werden."

"Kunst, Handwerk, Gesamtaktivität, baraka - Unsinn!" schrieen die Revolutionäre, und sie hängten alle schiffbauenden Handwerker, die sie finden konnten. Das neue Evangelium wurde überall als ein Akt der Befreiung willkommen geheißen. Der Mensch hatte entdeckt, daß er bereits reif war. Er fühlte sich, wenigstens für einige Zeit, einer großen Verantwortung enthoben.

Die meisten anderen Denkarten wurden bald von der Einfachheit und Bequemlichkeit der revolutionären Vorstellungen überschwemmt. Und schon bald hielt man diese für grundlegende Tatsachen, die niemals von einem vernunftbegabten Wesen in Frage gestellt worden waren. Vernünftig nannte man natürlich einen Menschen, der mit der verbreiteten Theorie, auf der nun die gesamte Gesellschaftsordnung basierte, übereinstimmte.

Vorstellungen, die der neuen Theorie widersprachen, konnte man leicht als irrational hinstellen. Und alles Irrationale war schlecht. In der Folge mußte ein Mensch eventuelle Zweifel unterdrücken oder sich davon ablenken, denn man mußte ihn um jeden Preis für rational halten.

Rational zu sein war allerdings nicht schwer. Man brauchte sich nur an die Werte der Gesellschaft zu halten. Außerdem gab es ja genug Beweise für die Richtigkeit des rationalen Denkens - vorausgesetzt, man dachte nicht über das Inselleben hinaus. Im Rahmen dieser Insel hatte die Gesellschaft nun vorübergehend ein Gleichgewicht erreicht und schien, wenn man sie mit ihren eigenen Augen sah, ein glaubwürdiges Ganzes darzustellen. Sie gründete sich auf Verstand und Emotion und ließ beides plausibel erscheinen. So war zum Beispiel der Kannibalismus aus rationalen Gründen erlaubt. Man hatte herausgefunden, daß der menschliche Körper eßbar ist. Eßbarkeit ist indes eine Eigenschaft von Nahrung. Also war auch der menschliche Körper Nahrung. Um die Mängel dieser Argumentationsweise zu überspielen, sorgte man für Abhilfe. Kannibalismus wurde im Interesse der Gesellschaft unter Kontrolle gestellt ."Kompromiß" hieß das Gütezeichen des momentanen Gleichgewichts. Zu jeder besseren Gelegenheit kam jemand mit einem neuen Kompromiß, und im Ringen von Vernunft, Ehrgeiz und den Werten der Gesellschaft entstand irgendeine neue soziale Norm.

Da die Fertigkeit Schiffe zu bauen in dieser Gesellschaft keine offensichtliche Anwendungsmöglichkeit fand, konnte man derlei Bemühungen leicht als absurd abtun. Schließlich brauchte man keine Schiffe - wohin sollte man denn fahren? Die Konsequenzen aus bestimmten Annahmen lassen sich dazu benutzen, diese Annahmen zu "beweisen". Dies ist es, was man Pseudo-Gewißheit nennt, der Ersatz für wahre Gewißheit. Auch wir machen täglich in Pseudogewißheit, wenn wir voraussetzen, daß wir auch am nächsten Tag leben werden. Unsere Inselbewohner allerdings wendeten sie auf alles und jedes an.

Zwei Eintragungen im großen Insel-Universallexikon machen deutlich, wie dieses System arbeitete. Ihre Weisheit aus der einzigen geistigen Nahrung ziehend, die ihnen zur Verfügung stand, produzierten die Gelehrten der Insel in allem Ernst Wahrheiten wie die folgenden:

SCHIFF: ärgerlich. Ein imaginäres Fahrzeug, von dem Schwindler und Betrüger behaupten, es sei möglich, darin "das Wasser zu überqueren"; nunmehr wissenschaftlich als Absurdität erwiesen. Auf der Insel finden sich keine wasserundurchlässigen Materialien, mit denen ein solches "Schiff" konstruiert werden könnte, ganz abgesehen von der Frage, ob es überhaupt eine Bestimmungsort jenseits der Insel gibt. Den "Schiffbau" zu propagieren ist ein Kapitalverbrechen gemäß Paragraph XVII des Strafgesetzbuches, Unterabteilung J, Zum Schutz von Leichtgläubigen. SCHIFFBAUMANIE ist eine extreme Form von geistigem Eskapismus, ein Symptom von Fehlanpassung. Alle Bürger sind verfassungsmäßig verpflichtet, die Gesundheitsbehörden zu verständigen, wenn sie die Existenz dieses tragischen Zustandes bei einem Mitbürger vermuten.

Sie auch: Schwimmen; Geistesverwirrung; Verbrechen (schwer).

SCHWIMMEN: unangenehm. Angeblich eine Methode, den Körper im Wasser vorwärtszubewegen, ohne dabei zu ertrinken, im allgemeinen in der Absicht, einen "Ort außerhalb der Insel" zu erreichen. Der "Schüler" dieser unangenehmen Kunst mußte sich einem grotesken Ritual unterwerfen. Während der ersten Lektion mußte er sich auf den Boden legen und nach dem Kommando eines "Instrukteurs" Arme und Beine bewegen. Der Gedanke des "Schwimmens" basiert allein auf dem Bedürfnis der selbsternannten "Instrukteure" zu barbarischen Zeiten, Leichtgläubige beherrschen zu können. Noch vor kurzem hat der Kult die Form einer seuchenartigen Manie angenommen.

Siehe auch: Schiff; Häresie; Pseudokünste.

Die Worte "ärgerlich" (displeasing) und "unangenehm" (unpleasent) bezeichneten auf der Insel alles, was dem neuen Evangelium widersprach, welches selbst unter der Bezeichnung "Please" (Gefallen) bekannt war. Damit sollte den Leuten suggeriert werden, daß sie nun ganz nach ihrem eigenen Gefallen lebten - natürlich im Rahmen der Notwendigkeit, dem Staat zu gefallen. Unter dem Staat verstand man 'alle Leute'.

Es ist kaum erstaunlich, daß schon seit verhältnismäßig früher Zeit der bloße Gedanke, die Insel zu verlassen, die meisten Menschen mit Schrecken erfüllte. Eine ähnliche, durchaus nicht von der Hand zu weisende Furcht findet man bei langjährigen Gefangenen, die kurz vor der Entlassung stehen. Das "Draußen", das was jenseits der Gefangenschaft liegt, wird als vage, unbekannte, bedrohliche Welt empfunden.

Die Insel war kein Gefängnis. Aber sie war ein Käfig mit unsichtbaren Gittern, die wirkungsvoller waren, als offensichtliche Gitter es jemals gewesen wären.

Die Inselgesellschaft wurde zunehmend komplexer, und wir können hier nur auf einige ihrer herausragenden Eigenschaften eingehen. Ihre Literatur war sehr vielseitig. Zusätzlich zu den kulturellen Werken gab es eine Vielzahl von Büchern, die einzelne Werte und Errungenschaften der Nation erläuterten. Es gab auch die Kunstform der allegorischen Geschichte, die ausmalte, wie schrecklich das Leben gewesen wäre, wenn die Gesellschaft sich nicht in der gegenwärtigen beruhigenden Struktur arrangiert hätte.

Von Zeit zu Zeit versuchten Instrukteure der gesamten Gemeinschaft das Entkommen zu ermöglichen. Mancher Kapitän opferte sich auf, um ein geistiges Klima wiederherzustellen, in dem die Schiffbauer, die sich nun verborgen halten mußten, ihre Arbeit fortsetzen könnten. All diese Versuche wurden von Geschichtswissenschaftlern und Soziologen allein im Hinblick auf die Gegebenheiten auf der Insel interpretiert. An Kontakte, die über diese geschlossene Gesellschaft hinausgingen, dachten sie nicht. War es doch verhältnismäßig leicht, für nahezu alles eine plausible Erklärung zu finden. Dabei kümmerte man sich nicht um ethische Prinzipien, denn die Gelehrten widmeten sich weiterhin mit wahrer Begeisterung nur dem, was wirklich zu sein schien. "Was können wir denn noch tun?" fragten sie und setzten mit dem Wort noch voraus, daß die Alternative eine quantitative Anstrengung sei. Oder sie fragten einander: "Was könnten wir anderes tun?", und nahmen dabei an, die Antwort könnte in dem anderes, also etwas Verschiedenes liegen. Ihr wahres Problem war, daß sie sich selbst für fähig hielten, die Fragen u formulieren und dabei übersahen, daß die Fragen genauso wichtig sind wie die Antworten.

Natürlich hatten die Inselbewohner innerhalb ihres eigenen kleinen Reiches eine Menge Denk- und Handlungsspielraum. Die verschiedenen Spielarten der Gedanken und Unterschiede der Meinungen vermittelten den Eindruck von Gedankenfreiheit. Das Denken wurde sogar gefördert, vorausgesetzt, es war nicht "absurd".

Die Redefreiheit war garantiert. Allerdings war sie ohne die Entwicklung der Einsicht, um die man sich nicht kümmerte, wenig von Nutzen.

So mußte die Arbeit der Navigatoren und das, was sie in deren Verlauf besonders betonten, angesichts des Wandels in der Gemeinschaft andere Aspekte hervorkehren. Das machte ihre Wirklichkeit in den Augen der Schüler, die sie vom Standpunkt des Insellebens sahen, noch unverständlicher.

Inmitten der allgemeinen Verwirrung konnte sogar das Vermögen, sich der Möglichkeit einer Flucht zu erinnern, bisweilen zum Hindernis werden. Die sich regende Bewußtheit der Fähigkeit zur Flucht schärfte allerdings nicht den Blick. In den meisten Fällen gaben sich die Möchtegern-Flüchtlinge mit irgendeiner Ersatzlösung zufrieden. Ohne Richtungsbestimmung bleibt eine vage Vorstellung von der Navigation nutzlos. Sogar die allereifrigsten der potentiellen Schiffbauer hatte man dazu erzogen zu glauben, sie hätten dieses Orientierungsvermögen bereits. Man war ja bereits reif. So haßten sie jeden, der sie darauf hinwies, daß sie möglicherweise einer Vorbereitung bedurften.

Die verschrobensten Abarten des Schwimmens und des Schiffbaus verdrängten oft die Möglichkeiten eines wahren Fortschritts. Viel schuld daran hatten die Verfechter des Pseudoschwimmens oder der allegorischen Schiffe, reine Krämerseelen, die solchen Menschen Schwimmstunden offerierten, die noch zu schwach zum Schwimmen waren, oder Überfahrten auf Schiffen anboten, die sie gar nicht bauen konnten.

Die Bedürfnisse der Gesellschaft hatten ursprünglich gewisse Leistungen und Denkstrukturen notwendig gemacht, die sich zur sogenannten Wissenschaft entwickelten. Dieser bewunderungswürdige Ansatz, der auf den Gebieten, wo er anwendbar ist, so Wesentliches leistet, ließ schließlich seine wahre Bedeutung weit hinter sich. Die Einstellung, die man "wissenschaftlich" nannte, wurde bald nach der "Please"-Revolution so weit ausgedehnt, daß sie schließlich alle Gebiete des Denkens umfaßte. Alles, was sich nicht in ihren Rahmen zwängen ließ, wurde als "unwissenschaftlich" bezeichnet, mit einem weiteren bequemen Synonym für "schlecht". So nahm man unbewußt Worte gefangen und versklavte sie dann automatisch.

In Ermangelung einer angemessenen Zielsetzung warfen sich die Inselbewohner - Menschen gleich, die in einem Wartezimmer, sich selbst überlasse, plötzlich fieberhaft Zeitschriften lesen - ganz darauf, Ersatz für die Erfüllung zu finden, die der ursprüngliche (und natürlich auch der letzte) Sinn des Exils der Gemeinschaft war.

Einige vermochten ihre Aufmerksamkeit mehr oder weniger erfolgreich auf hauptsächlich gefühlsbetonte Bindungen abzulenken. Es gab verschiedene Spannweiten der Emotion, aber kein geeignetes Instrument, ihr Ausmaß zu messen. So hielt man alle Gefühle für "stark" oder "tief" - jedenfalls für tiefer als Nichtgefühle. Ein Gefühl, das die Menschen zu den extremsten physischen und geistigen Verrenkungen bewegte, die man sich nur vorstellen kann, wurde automatisch als "tief" bezeichnet. Die meisten Menschen setzten sich Ziele - oder erlaubten es anderen, die Ziele für sie zu setzen. Sie konnten einem Kult nach dem anderen oder aber dem Geld oder sozialem Rang nachlaufen. Einige huldigten irgendwelchen Dingen und glaubten sich deshalb allen anderen überlegen. Andere wieder, die zurückwiesen, was ihrem Verständnis nach Verehrung bedeutete, meinten, sie hätten keine Abgötter und dürften deshalb verächtlich auf die anderen herabsehen.

Nach einigen Jahrhunderten war die Insel schließlich von den Abfällen dieser Kulte übersät. Und schlimmer als bei gewöhnlichem Müll, verewigte dieser sich auch noch selbst. Wohlmeinende Menschen vereinigten die verschiedenen Kulte in immer neuen Kombinationen, und diese verbreiteten sich erneut. Für den Dilettanten und den Intellektuellen war das eine Fundgrube akademischen und "initiatorischen" Materials, die ihm ein beruhigendes Gefühl der Vielfalt vermittelte.

Prächtige Einrichtungen zum Schwelgen in kleinen "Befriedigungen" griffen um sich. Paläste und Denkmäler, Museen und Universitäten, wissenschaftliche Institute, Theater und Sportarenen füllten die Insel fast aus. Die Menschen waren natürlich stolz auf diese Errungenschaften; viele davon - so dachte man - hatten irgendwie eine Beziehung zur letzten Wahrheit, wenn die meisten Menschen sich auch nicht vorstellen konnten, worin diese Beziehung nun eigentlich bestehe.

Zwar war der Schiffbau mit einigen Dimensionen dieser Aktivitäten verbunden, aber auf eine Weise, die fast allen Inselbewohnern unbekannt war.

Und heimlich hißten Schiffe ihre Segel, fuhren Schwimmer fort, das Schwimmen zu lehren ...

Die Lebensbedingungen auf der Insel brachten diese entschlossenen Menschen nie ganz zur Verzweiflung. Schließlich entstammten ja auch sie dieser Gemeinschaft und waren ihr und ihrem Schicksal unlösbar verbunden.

Aber sie mußten sich oft hüten, die Aufmerksamkeit ihrer Mitbürger zu erregen. Einige "normale" Inselbewohner versuchten, sie vor sich selbst zu retten. Andere versuchten - aus ähnlich erhabenen Gründen - sie zu töten. Und einige suchten sogar verzweifelt ihre Hilfe, konnten sie aber nicht finden.

All diese Reaktionen auf die Existenz der Schwimmer waren das Resultat ein und derselben Ursache, gefiltert durch verschiedene Arten von Bewußtsein. Diese Ursache war, daß kaum jemand wußte, was ein Schwimmer wirklich war, was er tat oder wo man ihn finden konnte.

Als nun das Leben auf der Insel immer zivilisierter wurde, entstand als logische Entwicklung eine seltsame Industrie. Sie beschäftigte sich damit, Zweifel an der Gültigkeit des Gesellschaftssystems anzumelden. Es gelang ihr andererseits, Zweifel an den sozialen Werten zu absorbieren, indem sie sie in satirischer Form abhandelte und dem Gelächter preisgab. Aktivitäten wie diese trugen entweder ein betrübliches oder ein vergnügliches Gesicht - auf jeden Fall gerieten sie zu einem ständig sich wiederholenden Ritual. Potentiell eine wertvolle Industrie, wurde sie doch oft daran gehindert, ihre wirklich kreative Rolle zu spielen.

Die Menschen meinten, die Tatsache, daß sie ihrem Zweifel vorübergehend Gestalt verleihen durften, würde ihn lindern, bannen oder gar ausräumen. Satire gab sich als bedeutungsschwere Allegorie; Allegorie wurde zwar aufgenommen, aber nicht verdaut. Theaterstücke, Bücher, Filme, Gedichte und Witzblätter waren die üblichen Medien dieser Entwicklung, wenngleich sie sich auch auf akademischeren Gebieten breitmachte. Viele Inselbewohner hielten es für emanzipierter, moderner oder progressiver, diesem Kult zu folgen als irgendeinem der alten Kulte.

Ab und zu erschien trotzdem noch ein Anwärter bei einem Schwimmlehrer, um mit ihm handelseinig zu werden. Meistens kam es dann zu einer fast stereotypen Unterhaltung:

"Ich möchte schwimmen lernen."

"Möchten Sie einen Vertrag aushandeln?"

"Das ist nicht notwendig. Ich weiß was ich will, und ich habe schon ein Faß Sauerkraut für die Reise bereit."

"Was wollen Sie mit dem Sauerkraut?"

"Na, das Essen, daß ich auf der Insel brauchen werde."

"Dort gibt es besseres Essen."

"Wie soll ich das verstehen? Ich kann doch nicht sicher sein. Nein, mein Sauerkraut muß ich mitnehmen."

"Aber mit einem Faß Sauerkraut können Sie nun mal nicht schwimmen!"

"Dann kann ich auch nicht mitkommen. Sie nennen es eine Last, für mich ist es meine lebenswichtige Nahrung!"

"Sagen wir einmal allegorisch statt 'Sauerkraut' 'Vermutungen' oder 'destruktive Vorstellungen' - was dann?"

"Ich gehe mit meinem Sauerkraut lieber zu einem Lehrer, der versteht, was ich brauche."


Dies ist die Geschichte von den Inselbewohnern, Schwimmern und Schiffbauern. Die Fabel ist noch nicht zu Ende - die Insel ist noch stark bevölkert.

Verstehen Sie die Zeichen, die in dieser Geschichte benutzt werden? Ordnen sie die Buchstaben der Namen um, dann erhalten Sie die Bedeutung. Das "Ar-Hew-Volk" ist das "wahre Volk". Aus dem Namen der Revolutionäre - "Please" - wird das Wort "Asleep" (schlafend).